Moosgewebe und von Pflanzen durchwachsene Abdeckung eines alten Kompostbeetes, genäht, Schuhe mit Riemen aus finnischer Birkenrinde, 130 x 110 cm, 2008 / 2012 / 2014
Titelbild gesehen durch das Auge von Theo Schäfer / Basel
Wildfrauenmantel
Auf dem Klinikgelände befand sich ein großer, nach ökologischen Gesichtspunkten bewirtschafteter Garten. Die Kompostbeete waren langgestreckt und mit fliesartigen Gewebebahnen bedeckt. Auf dem ältesten dieser Hügelbeete hatte sich ein Moosteppich angesiedelt.
Wir sagen:
Etwas ist durchwachsen
Über sich selbst hinauswachsen
Gras über eine Sache wachsen lassen
... und ich wusste: hieraus möchte ein Mantel gestaltet werden.
Das Moosgewebe war stellenweise von Brennnesseln und anderen Pflanzen durchwachsen; es ließ sich nur mit großer Kraftanstrengung vom Erduntergrund ablösen.
Der Moosteppich hatte sich inselartig ausgebreitet – so wurde aus dem Mantel ein „Flickengewand“. Wie bei einem in die Jahre gekommenen Kleidungsstück ersetzte ich einzelne, spärlich bewachsene Stellen durch andere Moosstücke. Diese Flicken nähte ich mit einer starken „Schusternadel“ ein. Der bewachsene Stoff erwies sich als widerstandsfähig und entzog sich einer raschen „Verarbeitung“ - kaum verwunderlich, wenn ich seinen Herkunftsort bedenke.
Als Gegengewicht zu „Bodenhaftung“ und „Erdenschwere“ sind dem „Wildfrauenmantel“ seit dem Sommer 2012 ein Paar leichte Sandalen aus Moosgewebe und finnischer Birkenrinde beigegeben.
Der „Wildfrauenmantel“ hatte lange Zeit seinen Namen noch nicht gefunden. Bei der Ausstellungseröffnung in Stralsund wurden die Besucher gefragt, welcher Name ihnen passend erscheinen möge – hier einige der Vorschläge: „Kaspar Hauser“, „Waldwuffel“, „Durchwachsen“, „Moosmutzels Gewand“ (In Anlehnung an „Der Traumzauberbaum“ / DDR 1980)
... und dann flüsterte es – Jahre später: „Wildfrauenmantel“
Eröffnungsausstellung Kirchengemeinde Lünen / März 2023