goldfarbenes Garn, gehäkelt, Plexiglasröhrchen für individuelle Mitteilungen,
125 x 140 cm, seit 2013
Lebensgewand
So wie das Lebens ungeplante Wege eröffnet, öffneten die „Glückshaut“ und andere Hüllen und Häute neue Türen in meiner künstlerischen Arbeit.
Pallium (lat.) heißt ‚der Mantel‘. „Palliative Care“ ist jene Pflege in unserer letzten Lebensphase, die mit Fürsorge und Aufmerksamkeit umhüllt und ummantelt, wenn die Grunderkrankung nicht mehr zu heilen und das Lebensende nahe ist.
Die Verbindung der Mäntel und der „ummantelnden Pflege“ wurde zum ersten Mal 2013 im „Hospiz am Buck“ in Loerrach sichtbar.
Hier fand das „Lebensgewand“ seinen Platz im Raum der Stille.
Die Gäste, Angehörigen, Pflegenden haben die Möglichkeit, den eingearbeiteten Plexiglasröhrchen, ihre Gedanken anzuvertrauen.
https://www.hospiz-am-buck.de/ (Minute 2.04)Mein Lebensgewand
Ein Text, der das Lebensgewand in ihrem neuen Umfeld verortet hat
Ralf Ochs und Astrid J. Eichin
Ich schaue auf mein Lebensgewand.
Es besteht aus vielen einzelnen Teilen.
Manche habe ich selbst gewebt und eingefügt,
andere wurden mir hinein gewebt – einige auch gegen meinen Willen.
Fertig ist mein Lebensgewand noch nicht.
Da sind Gewandstücke,
welche von Augenblicken des Glücks, der Freude und der Zufriedenheit erzählen:
Zeiten, die geteilt werden mit geliebten Menschen;
Momente, in denen ich an meine guten Freunde denke.
Glück und Leichtigkeit miteinander teilen,
mich anvertrauen dürfen, mich verstanden fühlen, mich zeigen dürfen, wie ich wirklich bin - manches Mal auch ohne Worte.
Zu wissen: ich habe geliebt; ich werde geliebt. In guten wie in schlechten Tagen.
Augenblicke, in denen ich sehe: hier kann ich meine Fähigkeiten entfalten und mit meinen Gaben dazu beitragen, dass die Welt reicher wird.
Naturerfahrungen – zu allen Jahreszeiten – wundervoll und Ehrfurcht gebietend.
Zeitlose Augenblicke, in denen ich mich aufgehoben und eins mit allem fühle.
Stille Momente - in denen alles enthalten scheint.
Fertig ist mein Lebensgewand noch nicht.
Ich sehe Gewandstücke, die mich an dunkle Augenblicke erinnern:
Wut und Verzweiflung.
Angriffe und Wunden.
Verletzung und Bitterkeit.
Mich nicht verstanden fühlen.
Übersehen. Nicht gewürdigt. Benutzt.
Im Stich gelassen und beiseite geschoben.
Allein, verlassen, verzweifelt.
Fertig ist mein Lebensgewand noch nicht.
Gewandstücke halte ich in meinen Händen, die vom Loslassen und Abschied erzählen.
Diese habe ich nicht gesucht, manche nicht gewollt – und doch sind sie mir zugefallen.
Sie wiegen schwer in meinen Händen:
Lebensziele aufgeben müssen.
Entfaltungsmöglichkeiten weggeschnitten, mich einschränken müssen.
Schmerzen an Leib und Seele.
Liebgewordenes loslassen müssen.
Fragen, die keine Antwort finden.
Tränen, die von dort kommen, wo das Wort nicht hinreicht.
Fertig ist mein Lebensgewand noch nicht.
Mein Lebensgewand – ist es wirklich in allem meins?
Habe ich bis jetzt mein Leben gelebt – authentisch und echt?
Liebevoll und achtsam? Ehrlich und selbstbestimmt?
Oder habe ich mich nach anderen Menschen ausgerichtet?
Ihre Erwartungen erfüllt, um ihnen zu gefallen und mich dabei verloren?
Wer bin ich wirklich im Leben und im Tod?
Fertig ist mein Lebensgewand noch nicht.
Ich warte auf mein letztes Gewandstück.
Zu welchem Abschluss wird mein Sterben, mein Tod es weben?
Ist es in den Farben des Glücks gewebt?
Darf ich hoffen, dass ich mit „neuen Kleidern angetan“ mir unbekannte Räume durchschreite?
Werden Schmerzen und Trauer dominieren?
Wird dieser Teil des Gewandes mit Tränen durchtränkt sein?
Fertig ist mein Lebensgewand noch nicht.
Bei all diesen Fragen, die mich bewegen wünsche ich mir eine Hand, die da ist,
wenn ich sie brauche,
wenn ich loslassen muss,
wenn meine Kraft zu Ende geht.
Menschenhände.
„Gotteshände“.
Fertig ist mein Lebensgewand noch nicht.