Hab keine Angst
Interessanterweise musste erst das „Stacheldrahthemd“ gewoben werden, bevor ein Jahr später die Idee der Glückshaut geboren wurde.
Schwindelnd der schmale Grat zwischen sich schützen, verteidigen, abwehren und sich öffnen, anvertrauen, überlassen.
Das sich schützen wollen oder müssen ist bei dieser Hülle auf die Spitze getrieben:
hier kommt mir niemand zu nahe!
Der Preis, den es dafür zu zahlen gilt, ist zum einen die Isolation, die Unbeweglichkeit bis zur Erstarrung, zum anderen der Schmerz des Getrennt seins von allem Leben(digen).
Die Stacheln der gedachten „Schutzhaut“ schneiden ins eigene Fleisch.
Hab keine Angst.
Monatelang stand die Stacheldrahtrolle in meinem Atelier.
Metallisch glänzend. Mit messerscharfen Spitzen.
Ich musste mich diesem Material sehr langsam und mit dem nötigen Respekt nähern.
Auf Unachtsamkeit und Träumerei folgte sofort die schmerzliche Konsequenz.
Hab keine Angst.
Ich hatte Monate – die sich auf über ein Jahr hinzogen – um mich darin zu üben.
Von Anfang an wusste ich: es wird eine „alte Haut“, eine „abgelegte Hülle“ werden.
Als feines Detail hatte sich beim Verflechten der Drähte durch deren Eigenspannung eine Wölbung gebildet, so dass der Mantel nun zugleich an einen verlassenen Kokon nach dem Schlüpfen erinnert.
Eine abgelegte Haut.
Hab keine Angst.
Was trug mich durch den mühevollen, monatelangen Prozess der Anfertigung?
Es war das tiefe Verlangen, Zeuge eines Wandlungsprozesses zu sein. Das Stacheldrahthemd durfte sich mit Rost und Patina als das zeigen, als das es gedacht war: eine alte, abgelegte Hülle.
Beim Verschwinden des scharfspitzigen, glänzend-kettenhemdartigen Stacheldrahtmantels hinter den Wänden der Galvanisierungsanlage wusste ich:
er würde in einer gewandelten Erscheinung daraus hervorgehen.
Hab keine Angst.
Ein berührender Brief, der mich erreichte, in welchem Frau Renate Schweizer / IMPULSE Werkstatt für Hospizpädagogik tief in die Thematik des Stacheldrahtmantels eintaucht.