Vorbereitung für einen langen Winter
In der „guten Stube“ der Großeltern war es meist etwas kühler als in den sonstigen Räumen. Sie war besonderen Gelegenheiten vorbehalten und wurde nur zu diesen Anlässen beheizt. In diesem Raum stand eine Couch; darauf drei „Sofakissen mit Kniff“. Im Flur hingen zwei Wandteller mit „Sinnsprüchen“.
Meine Großeltern (1893 u. 1903 geboren) wohnten nur wenige Minuten von uns entfernt. Der nahe Kontakt zu ihnen, die Erzählung ihrer Lebensgeschichten und ihrer Erfahrungen haben meine Vorstellung von Zeit und persönlicher Geschichte nachhaltig geprägt. Immer wieder erzählten sie von der sogenannten „schlechten Zeit“; den Schwierigkeiten, Essen zu beschaffen, den Bettel- oder Tauschfahrten vieler Menschen auf’s Land zu den Bauern, dem täglichen Überlebenskampf.
Vor diesem Erfahrungshintergrund kann die Arbeit „Vorbereitung für einen langen Winter“ betrachtet werden. Zwölf Sofakissen aus Plastikfolie genäht, mit Sinnsprüchen bedruckt und Naturmaterialien gefüllt. (Eicheln, Bucheckern, Lärchennadeln, Waldrebensamen, Hagebutten, Mais, Kastanien, Hortensien- und Rosenblüten, Essigbaumblätter, Heu, Ringelblumenblüten).
Sofakissen, die doch keine sind; sie entbehren der „German Gemütlichkeit“; auch ihre Einladung sich entspannt zurückzulehnen ist nur vordergründig.
„Sinnsprüche“ - Erinnerungen an Kindertage, Elternermahnungen oder den Austausch von Poesiealben in der Grundschulzeit; vermeintliche Orientierungshilfen in den Unwägbarkeiten des Lebens. Ich bat Freunde und Bekannte, solche Sinnsprüche für mich zu sammeln. Eine wahrlich bunte Mischung, die da zusammenfand:
Nicht was du bist ist’s
was dich ehrt
wie du es bist
bestimmt den Wert.
Ohne Arbeit früh bis spät
Kann dir nichts geraten.
Neid sieht nur das Blumenbeet,
aber nicht den Spaten.
Gib Dein Herz nicht für die Krone,
gib es dem, der Dich auch liebt,
gib es dem, der Dir zum Lohne
auch das seine dafür gibt.
Noch nicht in allzu weiter Ferne jene Zeiten, als es nicht alles zu jeder Zeit des Jahres gab. Wir Menschen waren eingebunden in den Rhythmus des Jahres und seines Nahrungsangebots; Zeiten der Fülle und der Einschränkung, ja auch des Darbens lagen nicht allein in unserer Hand, sondern waren von Naturgegebenheiten bestimmt.
Beim Sammeln der Eicheln sprach mich eine ältere Frau an, ob ich die Eicheln für Kaffee sammeln würde. Sie erinnerte sich daran, dass geröstete Eicheln und Zichorien als Kaffee-Ersatz gedient hatten und Bucheckern Samen gesammelt wurden, um Öl daraus zu pressen.

je 44 x 38 cm, September 1997 bis Februar 1998