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Bauerleinen gefärbt mit Pflanzensäften, Naturmaterialien, 140 x 130 cm, 2016

Frühlingserwachen

Graubünden 2016. Einladung zum ‚artist in residence‘ Programm `kunstluft.ch

Von Mitte Mai bis Mitte Juni lebte und arbeitete ich auf einem Maiensäß (eine Sonderform der Alm/Alp: eine gerodete Fläche mit Hütten und Ställen) oberhalb des Dorfes Conters.

Ein langer Winter mit spätem Schneefall ging jenen Frühlingstagen voraus. Umso freudiger habe ich die ersten Frühlingszeichen begrüßt. Manchmal erinnern wir uns nicht, wann genau eine Idee geboren wurde.

Vielleicht ist es wie bei einem Samen, welcher im dunklen Verborgenen keimt und dann zu seiner Zeit ans Licht kommt.

War es dieser Sonntagmorgen, an dem die Idee des „Frühlingserwachens“ geboren wurde?

Tagebucheintrag am Sonntag, 22. Mai 2016: An diesem Sonntagmorgen hat die Frühlingsgöttin über Nacht Gänseblümchen vor der Hütte ausgestreut. Der Bergahorn hat an all seinen oberen Ästen die Knospen geöffnet und zeigt dort einen grünen Schimmer.

Oder war es beim Pflücken des Löwenzahns und seiner Knospen? Oder beim Schreiten über die Wiesen, welche über Nacht grün geworden zu sein schienen?

Tagebucheintrag am Mittwoch 18. Mai 2016: Beim Einfärben von Stoffstücken mit Pflanzenfarben versuche ich den langwierigen Prozess des Einreibens der Blattfarbe ins Gewebe abzukürzen: unter kräftigen Hammerschlägen geben die ‚geschundenen Pflanzenteile‘ ihre Säfte ab.

Nicht nur ist der Unterschied im Farbauftrag frappierend; deutlich spüre ich, dass ich aus Respekt vor den Pflanzen den langwierigeren Weg gehen muss: über viele Stunden reibe ich auf den Steinplatten vor dem Haus die Pflanzensäfte in den Leinenstoff. Das Gewinnen ihrer Farben braucht seine Zeit.

Es finden sich die Abriebe von Wiesenpflanzen der Umgebung: Spitz-, Breitwegerich- und Löwenzahnblätter. Kreisrunde Farbflecke verleihen dem Mantel etwas Leichtes, Spielerisches – am liebsten möchte man mit ihm über die Wiesen tanzen.

Die Blütenblätter des Hahnenfußes färben drei goldgelbe Kreise. Bei meinen Wanderungen im Gelände entdeckte ich in höheren Lagen lange Flechten an den Bäumen; aus ihnen webte ich ein kleines, bergendes Nest. Dies findet sich im Bereich der Herzgegend.

Auch in den Häusern der Weinbergschnecken regte sich in den wärmer werdenden Tagen das Leben. Allerorten konnte ich beobachten, wie die Schnecken ‚auf Brautschau‘ waren oder sich schon gefunden hatten. Zwei kleine Kalkdeckel, mit denen die Schnecken ihre Häuser im Winter verschließen gehören zu meinen Fundschätzen. Leere Schneckenhäuser fanden sich allerorten. Aus ihnen gestaltete ich knebelartige Verschlussknöpfe.

Im steilen Gelände ist ein Stab ein treuer Begleiter. Ein solcher ist dem Mantel beigegeben; er ist von der Natur gezeichnet mit sinnlich anmutenden Vertiefungen, welche von mir mit dem Taschenmesser sorgsam freigelegt wurden.

Vor vielen Jahren hatte ich Kuhhörner aus dem Schlachthof für ein Kunstprojekt vorbereitet, welches ich nie umgesetzt hatte. Einige davon packte ich in mein Reisegepäck für den Maiensäß. Konnte ich einen stimmigeren Ort für ihre weitere Verarbeitung finden?! Füllhorngleich wurden fünf davon nun mit Frühlingsgaben gefüllt:

Erde. Rund um den Maiensäss gesammelt. Holunder. Ein Gewächs, um das sich viele Mythen ranken. Er wächst an fast allen Bauernhäusern und Ställen. Hausapotheke, Saftspender und – wie ich dort erfuhr – dienlich zur Bodenstabilisierung und zum Wasser ableiten.

Gänseblümchen. In England sagt man: “Wenn du mit einem Fuß auf sieben Gänseblümchen treten kannst, ist Frühling”. Die kleinen Sonnentupfen erfreuten mein Herz, bereicherten meinen Wiesensalat und die vielen Namen, die diese Pflanze trägt, zeigt, welche Bedeutung ihr in der Volksheilkunde zukommt.

Frauenmäntele. Für eine, die sich seit Jahren mit „Hülle und Häuten“ beschäftigt: ein Muss. Die Pflanze steht für viele Heilwirkungen insbesondere im Bereich der Frauenheilkunde.

Löwenzahn. Auch diese Heilpflanze ist eine kleine Hausapotheke für sich. Die schmackhaften Knospen kamen in meinen Salat, aus den Blättern machte ich mit Tee. Mich an Kindertage erinnernd legte ich die eingeschnittenen Stängel in das Wasser des Brunnens und erfreute mich an den entstehenden Rollmustern.